Ex-WWE-Chef McMahon kritisiert Darstellung in Netflix-Doku
Doch kurz vor dem Release will Vince McMahon, der dem Team hinter der unabhängigen Produktion seit 2020 mehrere Interviews gegeben hat, nichts mehr von „Mr. McMahon“ wissen. Die Ablehnung gegenüber der Doku-Reihe, die nach seinem WWE-Künstlernamen benannt ist, geht sogar so weit, dass sich der 79-Jährige berufen fühlte, am Montag ein Statement zu veröffentlichen.
Darin beklagt sich McMahon, der bereits einen Einblick in den Film nehmen konnte, über bewusst aus dem Kontext gerissene Darstellungen und den Versuch des Produzententeams, die Privatperson mit dem Fernsehcharakter gleichzusetzen.
McMahons ungekürzte Stellungnahme:
„Ich bereue es nicht, an dieser Netflix-Dokumentation teilgenommen zu haben. Die Produzenten hatten die Möglichkeit, eine objektive Geschichte über mein Leben und das unglaubliche Geschäft, das ich aufgebaut habe, zu erzählen. Eine Geschichte, die gleichermaßen mit Aufregung, Drama, Spaß und einer ordentlichen Menge an Kontroversen und Lebenslektionen gefüllt war.
Leider ist diese Doku, basierend auf einem frühen Vorab-Schnitt, den ich gesehen habe, unzureichend und geht den vorhersehbaren Weg, die Figur des ‚Mr. McMahon‘ mit meinem wahren Ich, Vince, zu vermischen. Allein der Titel und die Bewerbung machen das deutlich.
Vieles wurde falsch dargestellt oder ganz weggelassen, um die Zuschauer absichtlich zu verwirren. Die Produzenten verwenden typische Schnitttricks mit aus dem Kontext gerissenen Aufnahmen und veralteten O-Tönen usw., um die Wahrnehmung des Zuschauers zu verzerren und eine irreführende Erzählung zu unterstützen.
Um ihre irreführende Darstellung zu untermauern, verwenden die Produzenten einen Rechtsstreit, der auf einer von mir beendeten Affäre beruht, als Beweis dafür, dass ich tatsächlich ‚Mr. McMahon‘ bin.
Ich hoffe, dass die Zuschauer unvoreingenommen bleiben und sich daran erinnern, dass es zu jeder Geschichte zwei Seiten gibt.“
Anwältin der Klägerin geht mit McMahon-Statement ins Gericht
Bei der „von mir beendeten Affäre“ geht es um die Klage der früheren WWE-Mitarbeiterin
Janel Grant. Sie wirft McMahon sexuellen Missbrauch vor. Die Klage richtet sich allerdings nicht nur gegen McMahon, sondern auch gegen dessen früheren Mitarbeiter John Laurinaitis sowie das Unternehmen WWE.
Grants Anwältin Ann Callis bestätigte vor einigen Tagen in einem Pressegespräch, dass das Team hinter der Doku ein Interview mit Grant führen wollte. Dieses Gespräch wurde aber abgelehnt – mit dem Hinweis, dass Grant die Möglichkeit erhalten müsse und werde, ihre Geschichte vollständig und unabhängig zu erzählen.
Die beiläufige Erwähnung der Affäre im McMahon-Statement veranlasste Callis dazu, am Montag eine deutliche Stellungnahme abzugeben. Darin wurden die Vorwürfe noch einmal verdeutlicht, die seit Januar gegen McMahon und WWE im Raum stehen.
Callis ungekürzte Stellungnahme:
„Vince McMahon hat Janel Grant mehr als zwei Jahre lang körperlich und seelisch missbraucht, sexuell missbraucht und mit ihr Menschenhandel betrieben. Sein schreckliches und kriminelles Verhalten als ‚Affäre‘ zu bezeichnen, ist wahnhaft und nichts weiter als ein trauriger Versuch, seinen ramponierten Ruf zu retten. Obwohl Frau Grant die Doku-Serie ‚Mr. McMahon‘ nicht gesehen hat, hoffen wir, dass sie ein helles Licht auf seine abscheulichen und kriminellen Handlungen wirft, indem sie die Realität seines Verhaltens von Missbrauch und Ausbeutung richtig darstellt.
Frau Grant wird sich nicht länger von McMahon zum Schweigen bringen lassen. Ihre Geschichte ist zwar zutiefst beunruhigend und außerordentlich schmerzhaft, aber sie kann anderen Überlebenden von Missbrauch helfen, ihre Stimme zu finden. Wir wollen McMahon, John Laurinaitis und WWE zur Rechenschaft ziehen und Frau Grant ihren Tag vor Gericht ermöglichen.“
Die Zivilklage Grants ruht bis Dezember auf Bitten der New Yorker Staatsanwaltschaft. Denn auch die US-Behörden ermitteln seit Monaten gegen den ehemals mächtigsten Mann im Pro-Wrestling.
McMahon wollte Veröffentlichung stoppen
Was die politischen Spiele hinter den Kulissen angeht: Vor seinem endgültigen Rückzug bei WWE im vergangenen Januar – wenige Tage nach Veröffentlichung der Grant-Klage – soll McMahon versucht haben, die Netflix-Doku aus dem Verkehr zu ziehen.
Wie die Journalismus-Plattform „Puck“ berichtet, soll McMahon Netflix Geld geboten haben, die Rechte an der Produktion zu kaufen und die Serie wahrscheinlich im Giftschrank verschwinden zu lassen.
Netflix soll darauf aber nicht eingegangen sein. McMahon habe dann Endeavour-Chef Ari Emanuel, einen der einflussreichsten Männer in der US-Unterhaltungsindustrie und heute der oberste Boss von TKO und damit WWE, zu Rate gezogen.
Doch Netflix hielt nicht nur an der ursprünglich fürs Frühjahr geplanten Veröffentlichung fest, sondern gab dem Produzententeam um Bill Simmons („The Ringer“) und Chris Smith (Executive Producer der Hit-Doku „Tiger King“) mehr Zeit, den Film nach den Grant-Vorwürfen zu erweitern.
Mit großen Enthüllungen sollten Zuschauer dennoch nicht rechnen...
Jetzt warten alle Beteiligten darauf, in welchem Licht „Mr. McMahon“ den Mann hinter der Fernsehfigur tatsächlich darstellt. Wirklich große Enthüllungen sollten Zuschauer, die mit McMahons Werdegang vertraut sind, allerdings nicht erwarten.
US-Journalist Ryan Woodrow, der die Doku für „Men’s Journal“ bereits sehen konnte, schickt gleich ernüchternd vorweg: „Die Mr. McMahon-Doku hält nicht das Versprechen, uns eine neue Seite von Vince McMahon zu zeigen. Weil der Mann selbst nicht will, dass wir sie sehen.“
Woodrow kommt
in seinem Artikel zu dem Schluss: „Dieser Dokumentarfilm ist vielleicht die perfekte Zusammenfassung der aktuellen Diskussion um ihn (McMahon). Er ist ein Revolutionär in der Pro-Wrestling-Branche, und die Leute haben nicht Unrecht, wenn sie ihn dafür loben, dass er ihre schönsten Erinnerungen an die größten Momente dieses Sports geschaffen hat.
Aber man wird kein Milliardär, der sich vier Jahrzehnte lang an der Spitze hält, ohne einige entsetzliche Dinge zu tun. Und im Jahr 2022 war es für die Branche an der Zeit, ohne ihn weiterzumachen - was sie jetzt glücklicherweise auch tut.“
McMahon, der Zeit seines beruflichen Lebens immer versuchte, die Außendarstellung seiner Firma und damit auch von sich selbst bis ins kleinste Detail zu kontrollieren, hat diese Kontrolle abgegeben. Weil er glaubte, dass zum Ende seines beruflichen Werdegangs ein unabhängiges Team eine Lobpreisung auf sein Vermächtnis abliefert?
Die Netflix-Doku, für die McMahon mit seinem überraschenden Statement noch einmal ungewollt die Werbetrommel gerührt hat, wird das öffentliche Bild des früheren WWE-Machers nun nachhaltig beeinflussen. Darauf hat Vince keinen Einfluss mehr. Und das wird ihn am meisten ärgern.
Keine wichtigen News und keine Ergebnisse mehr verpassen! Folge uns für regelmäßige Updates über die PW-Channels bei WhatsApp oder Telegram oder im Facebook-Messenger. Außerdem kannst du uns hier bei Google News folgen (auf den Stern klicken). Zusätzlich kannst du dich hier für den PW-Newsletter anmelden.