Im ersten Moment war es eine riesige Enttäuschung. Wir dachten immer, als Einheit wie ein Schweizer Taschenmesser zu funktionieren. Wir könnten Solo-Projekte machen, dann wieder im Team antreten. Das haben wir ja auch erlebt, als Kofi Champion wurde. Die Aufteilung auf zwei Shows hat aber auch einen Silberschweif am Horizont mitgebracht. Wir wurden quasi gezwungen, separate Identitäten herauszuarbeiten.
Kofi und Woods sind immer so etwas wie eine Wohlfühldecke für mich gewesen. Sie gaben mir Halt. Ich wusste immer, dass ich Leute habe, mit denen ich mich unterhalten kann und die ich gut kenne. Jetzt musste ich mich selbst in vielerlei Hinsicht anpassen und erst wieder Tritt fassen. Das betraf auch einfache Dinge: „Hey, wie soll ich nun die Rampe runterkommen? Wie betrete ich den Ring?“ Ich brauchte auch ein neues Theme, das dann von Wale kam. Er ist ein Freund von mir und ein fantastischer Rapper. Auch mit der Musik hat sich das Gesamtgefühl geändert. Von den positiven Gospelklängen zu einem eher härteren Hip-Hop-Beat. Das hat viele Überlegungen zu meiner Identität ausgelöst. Und die gehen bis heute.
Ich wollte mich auch auf keinen Fall zurückentwickeln, gleichzeitig aber Elemente aus meiner Vergangenheit behalten. Ich bin immer noch in einem Prozess, um herauszufinden, was sich für mich richtig anfühlt.
DAS LEBEN NACH DER TAG-TEAM-ZEIT
Wenn du dich mit deiner Anfangszeit vergleichst: In welchen Bereichen hat sich Big E am meisten verbessert – und wie hat das zu deiner neuen Solo-Karriere geführt?
Ich fühle mich heute als Performer einfach so viel wohler. Da hat The New Day total geholfen. Für mich ist das häufig ein Cringe-Gefühl, wenn ich mir Promos von früher anschaue oder die Art, wie ich mich präsentierte. Ich wollte einfach wie dieser taffe, große, zeitweise emotionslose Typ rüberkommen. Und das ist ganz ehrlich langweilig. Das hat es schon viel zu häufig gegeben. Total fantasielos. Auch zu dieser Zeit hatten wir bereits Typen wie Brock Lesnar und Mark Henry. Dann kam New Day, und die Gruppe hat mir einen Weg geebnet.
Jetzt, und das mag auf einige arrogant klingen, gibt es, glaube ich, niemanden, der meine Schuhe ausfüllen kann. Wenn man mich heute aus dem TV nehmen oder meine Karriere enden würde, denke ich nicht, dass sich direkt ein anderer Wrestler finden lässt, der die Dinge so tun kann, wie ich es mache. Die Qualität der Promos, das Charisma, die Fähigkeit, dich zum Lachen zu bringen, aber auch ernst und heftig wirken zu können. Das macht für mich einen vielseitigen Performer aus. Und so will ich rüberkommen. Mit New Day habe ich wirklich meine Flügel ausbreiten können, was meine Charakterentwicklung angeht.
Jetzt will ich mit meiner neuen Solokarriere auch weiterhin Spaß und gute Stimmung verbreiten. Aber ich brauchte auch ein neues Gefühl der Sinnhaftigkeit. Ich brauchte einen neuen Antrieb. Kofi und Woods haben mir ihren Segen gegeben, wieder allein durchzustarten. Jetzt sind wir in unterschiedlichen Shows im Einsatz. Wenn ich jetzt nur ein Typ wäre, der mit dem Strom schwimmt und einfach nur glücklich darüber ist, dabei sein zu dürfen, dann würde ich ihnen aber auch mir Unrecht tun. Aber auch den Fans, die so lange danach gerufen haben, ich müsste meinen Singles-Lauf erhalten.
Kurz gesagt: Ich möchte die Dinge aus den letzten fünf, sechs Jahren fortführen. Aber ich will auch ein neues Level erreichen. Ich will Championships gewinnen. Ich will mir ein Vermächtnis aufbauen, nur für mich allein als Big E, auf das ich in Zukunft stolz sein kann.
WWE-Star Big E mit dem Big Splash
WrestleMania hat erstmals seit 13 Monaten die Fans zurückgebracht. Daumen drücken, dass es bald wieder mit jeder WWE-Show so sein wird. Wie blickst du auf das ThunderDome-Jahr und die Bedeutung des Live-Publikums?
Wir haben das Beste getan, was mit dem ThunderDome möglich war. Es ist toll, die Fans zumindest virtuell anwesend zu haben. Die Pandemie läuft noch, die Sicherheit hat oberstes Gebot. Es ist natürlich total schwer ein Gefühl dafür zu kriegen, wie ein Match wirklich ankommt, sobald die Reaktion aus der Konserve kommt. Wenn im Truck jemand sitzt, der „This is awesome“ einspielt, dann weiß man nicht, wo man steht. Wenn du aber einem Live-Publikum ins Gesicht blickst und du vermittelt bekommst, dass das, was du tust, gerade richtig gut ankommt, dann ist das der erfüllendste Weg, um die Verbindung zu den Fans herzustellen.
Wenn du dir die Wrestling-Geschichte ansiehst und alle bedeutenden Regentschaften, das hat alles nur mit den Reaktionen des Publikums funktioniert. Nehmen wir doch mal Goldberg: Er sah natürlich gewaltig und cool aus. Richtig muskulös und beeindruckend. Aber es waren doch diese vollbepackten Arenen, die wie wild auf ihn abgegangen sind. Das hat dafür gesorgt, dass meine Begeisterung für ihn angewachsen ist.
Ein anderes Beispiel ist Daniel Bryan. Wenn du an ihn denkst, dann natürlich auch an seine großen Qualitäten im Ring. Doch dann hat auch das Yes-Movement diese Rolle gespielt. Die Weitwinkelaufnahmen aus den Arenen, wo die Fans zu sehen waren, die mit ihm jubelten. Und ein drittes Beispiel: Kofi! Diese organische Reaktion, die für ihn (vor zwei Jahren zu WrestleMania; Anm. d. Red.) entstanden ist. Genau das unterscheidet unser Geschäft von so vielen anderen Bereichen der Unterhaltungsbranche: dieser Live-Organismus, bei dem du manchmal nicht vorhersehen kannst, wie er reagiert. Ganz ehrlich: Die Fans sind genauso wichtig wie die Wrestler im Ring, um diese massiven, denkwürdigen Momente entstehen zu lassen.
GUTE TIPPS FÜR DEN RIVALEN
Dein Rivale Apollo hat einen sehr abrupten Charakterwechsel hingelegt und spielt jetzt stark auf seine nigerianischen Vorfahren an. Wie hast du diese Entwicklung empfunden?
Ich kann Leute verstehen, die daran Kritik geübt haben und würde nicht zwingend sagen, dass sie falsch liegen. Aber selbst ich als Schwarzer weiß nicht direkt damit umzugehen, da ich selbst nicht nigerianischer Abstammung bin. Deshalb kann ich nicht aus Erfahrung sprechen. Ich hole mir dann schon mal Meinungen von Kumpels wie Wale ein, die Nigerianisch-Amerikanisch sind. Und ich will dann wissen, ob sich das richtig und authentisch anfühlt. Anders gesagt: Ich fühle mich nicht in der richtigen Position, um ihm zu sagen, wie er sich mit seiner eigenen Geschichte hier geben und seine eigenen Leute repräsentieren soll. Denn das sind Dinge, wo auch ich selbst noch dazulerne.
Aber auch in meiner Karriere, gab es einige plötzliche Wechsel in meinem Charakter. Es gab diese Zeit, als ich mit Rusev gearbeitet habe. Ich wusste, etwas verändern zu müssen. Wir probierten gerade einige Dinge aus. Und dann kam ich raus und brachte diese Promo in dieser All-American-Prediger-Art. So hatte ich mich noch nie präsentiert. Und das kam auch aus dem Nichts. Du musst dir einfach in deiner Rolle einen festen Boden unter den Füßen schaffen. An einigen Stellen musst du nachlegen, an anderen Stellen den Schritt zurückmachen. Ich hoffe für Apollo, dass er es für seine Karriere schafft, diese Feinjustierung hinzubekommen. Wir müssen spontan oft mit Ideen arbeiten, auf die wir uns gleich einstellen müssen. Das muss er hinbekommen können, auch über die Fehde mit mir hinaus. Nur dann wird er nachhaltig in einer solchen Position bleiben.
Apollo ist auf jeden Fall talentiert. Ich will ihn siegen sehen. Nicht gegen mich. Aber in dem Sinne, dass er seinen Platz findet und nicht einfach nach einiger Zeit wieder aus dem Fernsehen verschwindet. So talentierte Leute wie er müssen wir weiter im Rampenlicht präsentieren.
Seit deinem Abschied von New Day hast du vor Apollo zwei andere prominente Konkurrenten gehabt: Was kannst du über Sheamus und Sami Zayn sagen?
Ich darf mich wirklich gesegnet fühlen, welche Tanzpartner ich seit dem Start meiner neuen Solokarriere an die Seite gestellt bekommen habe. Man schaue sich Sheamus an: Er ist regelrecht revitalisiert, haut im Ring richtig was raus. Er ist jemand, der eine gewisse Intensität aus dir rausholt. Das schafft nicht jeder. Aber bei einem Sheamus-Match weißt du, dass ein gewisses Level der Brutalität erreicht wird. Wenn du mit ihm arbeitest, geht es körperlich rund.
Denk einfach an unser Falls Count Anywhere Match im vergangenen Herbst zurück. Er war wirklich der perfekte Gegner, damit ich eine Seite von mir zeigen konnte, die ich bisher noch nicht zeigen durfte. Bei Sheamus weißt du: Der Kerl bringt’s im Ring einfach. Und wenn du da nicht mithältst, dann wirst du bei lebendigem Leib verspeist. Und ich werde mich ganz sicher nicht im Live-Fernsehen verspeisen lassen.
Und Samy? Er ist einfach so unfassbar unterhaltsam. Ich wollte da selbst nicht zu albern werden, aber gleichzeitig auch nicht gegen ihn untergehen. Gerade erst habe ich seine Tanzbewegungen gesehen, als er Logan Paul begrüßte. Ich meine, der Kerl ist einfach so verrückt. Das zeigt, dass ich mit Sheamus, Sami und jetzt Apollo drei Gegner gehabt habe, die nicht nur im Ring abliefern können. Und das liebe ich einfach. Einzigartige Persönlichkeiten, die es so nur einmal bei WWE gibt. Das gilt für Sheamus, ganz sicher für Sami Zayn und Apollo arbeitet gerade auch daran, aus dem Kader hervorzustehen. Das erkenne ich in allen Fällen an. Wenn ich nur mit jemandem im Ring stehen würde, der toll wrestlen kann, aber keine starke Persönlichkeit hat, ist das für mich eher uninteressant.
START FÜR EIGENES SERIENPROJEKT
Du hast ein Kickstarter für ein Projekt namens „Our Heroes Rock!“ gestartet. Eine „3D-Animationserie, das die Helden der Black History von Hip-Hop bis Science Fiction“ in einem Format für die ganze Familie vorstellen soll. In der Pilotfolge soll es um Ruby Bridges gehen, die in den Sechzigern in den Südstaaten als erstes schwarzes Kind in eine Grundschule nur mit Weißen integriert wurde. Wie kam das Projekt zustande?
Nach dem Tod von George Floyd habe ich eine echte Hoffnungslosigkeit verspürt. Einen Kummer, wie ich ihn zuvor noch nie gefühlt habe. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass der Tod eines Menschen, den ich vorher nie getroffen hatte, so berühren könnte. Daraus erfolgten so viele, auch tränenreiche, Gespräche mit Familienmitgliedern und meinen schwarzen Freunden. Daraus ist der Gedanke erwachsen, dass ich meine Zeit hier einfach besser nutzen müsste. Niemand weiß, wie die Karriere weitergehen wird. Es gibt für nichts Garantien. Jetzt habe ich die Möglichkeit, ich habe eine Plattform und meine Zeit hier auf der Erde. Und so lange ich einen Namen habe und die Leute sich für das interessieren, was ich zu sagen habe, wollte ich das nutzen.
Das brachte mich mit Jonathan Davonport und Andreas Hale zusammen. Sie sind nicht nur zwei Freunde von mir, sondern auch zwei talentierte Personen, die mit mir an diesem Projekt arbeiten. Es ist genauso ihr Projekt wie es auch meins ist. Was wir hier machen, ist für mich im Geiste eine Fortführung der Idee von „Schoolhouse Rock!“ (animierte Kurzfilme für Kinder, die sich über Jahrzehnte mit Sprache, Gesellschaft, Geschichte und mehr beschäftigten und im ABC-Kinderprogramm liefen; Anm. d. Red.).
Unsere Idee: Warum nicht auch diese Geschichten mit bedeutenden schwarzen Persönlichkeiten erzählen? Ich bin echt aufgeregt, dieses Thema jetzt nach WrestleMania angehen zu können.
Ein ganzes Jahr ohne Fans, zuerst im Performance Center, dann im ThunderDome. Das bedeutete für dich, viel weniger reisen zu müssen. Denn alle anderen Shows – außer die TV-Produktionen – sind weggefallen. Wie war das für dich?
Ich bin nicht mehr ganz das junge Gemüse, das ich einst war. Und mittlerweile blicke ich zurück und frage mich, wie wir das hinbekommen haben, 250 bis 300 Meilen jeden Abend mit dem Auto zurückzulegen, vier bis fünf Shows pro Woche zu machen. Und gerade auf den Europatouren blickte ich auf den Kalender und realisierte, für 20 oder 21 Tage nicht nach Hause zu kommen. Es gab auch schon Monate, da war ich insgesamt nur drei oder vier Tage daheim. Ich habe zwar keine Frau oder Kinder. Aber ich bin dennoch gern Zuhause. Ich mag meine Couch und ich mag mein Bett. Und ich mag darin zu schlafen.
Und das ist das Schöne am vergangenen Jahr: Ich glaube, ich war einmal kurz verreist wegen eines Drehtermins. Aber ansonsten habe ich über dieses Jahr jede Nacht in meinem eigenen Bett geschlafen. Denn Orlando ist von meinem Zuhause anderthalb Stunden Fahrzeit entfernt, das Tropicana Field nur etwa 45 Minuten. Deshalb bin ich echt dankbar dafür gewesen. Man gewöhnt sich an den ganzen Trubel, wenn du so viel unterwegs bist. Aber es ist mal schön, nicht ständig an Flughäfen, Flugzeuge, Autofahrten, Hotel und das alles denken zu müssen. So sehr wir es auch lieben, die Fans auf der ganzen Welt zu sehen, war das für mich persönlich ein Genuss nach so langer Zeit.
Was ich übrigens jetzt mache: Ich meditiere jeden Tag. Und ich berichte jedem davon, ob er oder sie es hören will oder nicht. Außerdem gehe ich viel spazieren. Weil ich jetzt so viel hier bin, habe ich endlich meine Nachbarn kennengelernt. Aus sicherer Distanz kann ich ihnen jetzt ständig Hallo sagen. Es hat mir geholfen, Frieden zu finden, zur Ruhe zu kommen, besser ich selbst sein zu können.