Doch der Triumph blieb selbst für den jahrelang unantastbaren Lesnar aus. Bei WrestleMania 38 reichte ein massiver Spear, um Reigns weiter Titelträger bleiben zu lassen. Mehr noch, konnte sich der 37-jährige von nun an mit zwei Gürteln schmücken. Roman Reigns, der Undisputed-WWE-Universal-Champion of the World. Mehr geht nicht.
Nüchtern betrachtet hatte man dieses Ergebnis eigentlich kommen sehen müssen. Aus dem lapidaren Grund, dass es Lesnar nach WrestleMania immer ein wenig gemächlicher angehen lässt oder er – anders ausgedrückt – gänzlich aus den TV-Sendungen verschwindet. Und in dem halben Jahr vor der Doppel-Show in Texas hatte „The Beast“ so viel malocht wie schon lange nicht mehr – da musste jetzt einfach die Pause kommen. Denn WWE hätte wohl kaum einen Undisputed-Champion gekrönt, wenn im Zuge dessen beide World Title über den gesamten Sommer aus den Shows verschwunden wären.
KURZE FAN-SORGE UM EINEN „RÜCKTRITT“
Nach WrestleMania ließ es sich Roman erstmal gut gehen. Es war nicht direkt der nächste Titel-Herausforderer erkennbar. Viele potentielle Rivalen konnte er sowieso bereits besiegen. Und ein Gegner in der Größenordnung eines Brock Lesnar wartete jetzt auch nicht direkt. Ironischerweise verwandelt sich nun der Gesamtzustand von Reigns‘ Karriere in die seines bedeutendsten Rivalen.
Öffentlich begann alles damit, als Reigns am 7. Mai bei einem nicht ausgestrahlten Live Event in Trenton, New Jersey, zum Mikro griff. In der mittelgroßen Stadt, die WWE nur für ihre House Shows besucht, nicht aber für TV-Produktionen, meinte Reigns: „Ich bin in den vergangenen 10 Jahren einige Male hier gewesen. Und ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich noch einmal wiederkommen werde. Falls das so ist, möchte ich mich für die jahrelange Unterstützung bedanken.“
Der Clip dieser Rede geisterte bald durch Social Media. Prompt wurde in diese Worte viel hineininterpretiert. Zu viel sogar, denn einige sahen bereits Reigns‘ generellen Abschied vom Pro-Wrestling kommen. Das machte zu diesem Zeitpunkt herzlich wenig Sinn. Nur mal angenommen, Roman würde mit WWE aufhören wollen, wäre das Match bei WrestleMania anders ausgegangen.
Roman Reigns ist alleiniger Champion / WrestleMania 38 / (c) 2022 WWE. All Rights Reserved.
AUF EINEN NEUEN VERTRAG GEEINIGT
Die ganze Wahrheit lässt Fans erstmal durchatmen. Roman Reigns geht vorerst nirgendwo hin, wird allerdings ab sofort deutlich kürzertreten. Er beschrieb es gegenüber den Fans in Trenton als das „nächste Level“ seiner Karriere. Zu diesem neuen Level gehört ein deutlich reduziertes Schedule. Nicht ausgestrahlte Live Events, wie solche House Shows in New Jersey oder in anderen kleinen Märkten, wird Reigns in Zukunft nicht mehr mitnehmen. Ausnahme könnten seltene Shows in Top-Märkten, etwa dem New Yorker Madison Square Garden, sein. Damit ist auch die Wahrscheinlichkeit rapide gesunken, dass wir Reigns jemals wieder in Deutschland sehen werden. Außer WWE veranstaltet hier einen Premium Live Event, von dem wir weit entfernt sind.
Im Fernsehen wird Reigns weiter zu sehen sein, wenngleich er vielleicht auch mehr SmackDown-Sendungen auslassen wird als bisher – die genauen Details des Vertrags sind nicht bekannt. Über den nun bevorstehenden Sommer wird Roman im Umfeld der großen Stadien-Shows in den Wochenshows auftauchen, damit seine Matches aufgebaut werden können. Was Kämpfe angeht, dürften diese in den TV-Sendungen überschaubar bleiben. Wobei er bisher auch nur in Ausnahmefällen bei SmackDown Matches bestritten hat.
Und dann ist da noch die Sache mit den Premium Live Events. Auch hier sind genaue Zahlen unklar. Dave Meltzer, Autor des „Wrestling Observer Newsletter“, hat es munkeln hören, dass Roman fortan nicht viel mehr als sechs Premium Live Events pro Jahr macht, zuzüglich zu Saudi-Arabien. Damit käme man auf deren acht. In diesem Jahr hat WWE 11 Wochenenden mit Premium Live Events im Kalender. Bleibt es dabei, würde Reigns also die kleineren dieser Pay-Per-View-Shows auslassen. Dazu darf man getrost „Hell in a Cell“ am 5. Juni in Chicago, Illinois, zählen, wo Reigns in der Tat nicht im Line-Up auftauchen wird. Erst wenn es in die Stadien geht, mit „Money in the Bank“ und dem SummerSlam am 2. bzw. 30. Juli, ist der „Tribal Chief“ wieder am Start.
Reigns wird also in gewisser Hinsicht zu dem, was Brock Lesnar über die vergangenen Jahre war. Ein Superstar, den man nicht ganz so häufig sehen wird, auch wenn Roman unterm Strich immer noch häufiger bei WWE auftreten wird als Lesnar.
Einige Fans werden Reigns‘ Rückschritt negativ auffassen, aber die Entscheidung liegt bei ihm: Roman kann den Takt angeben, finanziell abgesichert dürfte er längst sein. Und nach so vielen Jahren im Wrestling, vorangegangen war seine angestrebte Football-Karriere, dürfte das für seine Gesundheit und damit auch für seine Halbwertzeit im aktiven Geschehen nur dienlich sein. Außerdem wird Reigns allein durch die Verknappung seiner Auftritte zu einem noch größeren Star. Das funktioniert seit Jahren bei Lesnar, selbst wenn sich das manche Fans, die meinen, dass ein Wrestler jede Woche im Fernsehen und bei jeder Mini-House-Show vor 3.000 Zuschauern aufzutreten hat, nicht eingestehen wollen.
REIGNS SCHIELT AUF DIE ZUKUNFT
Mehr freie Zeit vom Wrestling wird der „Head of the Table“ in seine Familie investieren können. Reigns war bis zum Frühjahr 2020 bereits Vater von einer Tochter und einem Zwillingspaar. Dann kamen vor zwei Jahren noch einmal Zwillinge hinzu. Zuhause wird Leati Joseph Anoa’i, so der richtige Name des WWE-Stars, also auch gebraucht.
Davon abgesehen macht es in diesem Stadium seiner Karriere Sinn, an die Zeit nach dem Pro-Wrestling zu denken. Reigns wird, wie sein Cousin The Rock oder auch John Cena und Dave Batista, auf eine Zukunft in der Unterhaltungsbranche abzielen.
„Ich möchte definitiv mehr solcher Erfahrungen sammeln. Ich habe mich bewiesen, wenn ich mit neuen Aufgaben konfrontiert werde. Falls solche Aufgaben in Hollywood auf mich warten, werde ich sie meistern“, erklärte Reigns im Dezember in einem Interview mit ESPN.
WWE unterstützt Reigns, sich außerhalb von Raw und SmackDown einen Namen zu machen: „Wir haben große Pläne, ihm bei diesem Übergang zu helfen“, so WWE-Präsident Nick Khan in einem Interview im Podcast „The Town“ im April. „Wir glauben, es wird großartige Möglichkeiten geben und es wird gewiss toll sein, diesen Weg gemeinsam mit ihm zu gehen.“
Der Undisputed WWE Champion Roman Reigns im April 2022 in London / (c) WWE. All Rights Reserved.
DIE SACHE MIT DEN ZWEI TITELN
Damit hat WWE derzeit also einen zweifachen World Champion, der es ein wenig ruhiger angehen lässt. Derweil wirkt Raw ohne einen Champion, ohne einen klaren Superstar an der Spitze, oftmals wenig fokussiert. Doch bei WWE will man die Undisputed-Regentschaft erstmal weiter durchziehen. Hier muss es eigentlich bereits jetzt ein klares Endziel geben. Die spannende Frage: Hat Dwayne „The Rock“ Johnson für ein Match bei der kommenden WrestleMania zugesagt? Einige Andeutungen hat es bereits gegeben, sogar in Rocks Sitcom „Young Rock“, wo ein junger Roman den jugendlichen Dwayne nach einem Match fragte und Johnson antwortete: „Das muss es eines Tages bei WrestleMania geben.“
Im Terminkalender von Tausendsassa Dwayne Johnson wird jetzt bereits eingetragen sein, was der 50-jährige im ersten Quartal 2023 macht. Oder anders ausgedrückt: Zwischen allen Beteiligten wird Klarheit herrschen, ob das erträumte Match kommt. Falls The Rock zugesagt hat, macht es durchaus Sinn, wenn WWE all‘ ihre Eier in ein Körbchen legt. Denn Johnson ist seit seinem letzten Match, 2012 gegen John Cena, noch einmal zu einem größeren Star geworden. Und einer der bekanntesten Promis der Welt würde WWE Anfang 2023 so dermaßen anschieben, dass es den derzeitigen Leerlauf um Reigns absolut rechtfertigt.
Und es ist nicht so, als könne WWE nicht auch bis zur nächsten WrestleMania einige große Reigns-Matches aufbieten – etwa gegen Drew McIntyre (für Cardiff geplant), Cody Rhodes, Bobby Lashley oder Randy Orton.
Aber: Kommt The Rock nicht, sollte man besser früher als später eine Lösung dafür finden, die beiden World-Title wieder auf beide Shows zu verteilen. So hübsch es auch geklungen haben mag, nur einen Weltmeister bei WWE zu haben, hat die Praxis mit zwei Champions in den separaten Shows für das wöchentliche Einschaltvergnügen besser funktioniert.
Und welcher Superstar letztlich Reigns beerben und ihm die erste Niederlage seit Jahren zufügen wird, das bleibt ein Thema für sich. Es wird zwar nicht ganz die Atmosphäre der zerstörten Undertaker-Streak bei WrestleMania erschaffen, aber schon für reichlich Aufmerksamkeit sorgen.
Bis zu diesem Tag wird Reigns seinen anhaltenden Karriere-Höhepunkt weiter auskosten. Und an seinem Leben nach dem Pro-Wrestling arbeiten. Einen klaren Schritt dahin hat er mit seiner neuen WWE-Vereinbarung gemacht.
ROMAN REIGNS - TITEL-HISTORY: 6-FACHER CHAMPION
Bis zum heutigen Tag kommt der „Tribal Chief“ auf sechs gewonnene World Heavyweight Championships. Erstmals gewann Roman Reigns den vakanten WWE-Titel am 22. November 2015. Damals war der Titel vakant, bei der Survivor Series folgte das große Turnierfinale gegen seinen früheren Shield-Bruder Dean Ambrose.
Ein Jahr später, bei WWE Raw am 14. Dezember 2015, holte sich Reigns den Titel zum zweiten Mal, dieses Mal von Sheamus. Der dritte Titelgewinn sollte die WrestleMania-Krönung darstellen: Reigns besiegte Triple H am 3. April 2016 bei WrestleMania 32 in Dallas, Texas. Sein jüngster Titelgewinn, fünf Jahre später bei WrestleMania 38 gegen Brock Lesnar, stellt den vorläufigen Karriere-Höhepunkt da. Denn als amtierender Universal Champion holte er sich zusätzlich den zweiten Gürtel, um fortan als Undisputed-Champion zu firmieren.
Reigns aktuelle Regentschaft als Universal Champion begann bereits am 30. August 2020 mit dem Sieg über den „Fiend“ Bray Wyatt. Der heutige „Tribal Chief“ und frühere „Big Dog“ hatte den Gürtel bereits zuvor für 64 Tage gehalten - musste ihn dann aber wegen einer Pause (Leukämie-Behandlung) abgeben. Am 19. August 2018 hatte Reigns Brock Lesnar um den Gürtel besiegt.