Den Schotten hatten die WWE-Fans zuletzt nicht zu Gesicht bekommen. McIntyre musste aus gesundheitlichen Gründen kürzertreten und eine mehrmonatige Pause einlegen. Bis WrestleMania gab er Gas, denn den Jahreshöhepunkt im WWE-Kalender wollte er unter keinen Umständen verpassen. Danach verschwand der 38-jährige von der Bildfläche. Bis zur Reise nach Berlin.
McIntyre will Aufmerksamkeit schaffen
Der Auftakt der Special Olympics war für Drew ein guter Grund, in die Öffentlichkeit zurückzukehren. Schließlich engagiert sich der Wrestling-Veteran schon seit über drei Jahren für die Organisation und trägt den Titel des „Special Olympics Global Ambassador“.
„Das ist für mich genauso besonders wie die Titel, die ich bei WWE gewonnen habe“, meint Drew im Gespräch mit Power-Wrestling. Sein Ziel: Er will Aufmerksamkeit für die Projekte der Special Olympics schaffen und sich für Chancengleichheit in Bezug auf Bildung und Gesundheit einsetzen.
McIntyre: „Mir war nicht klar, wie sehr Menschen mit geistigen Behinderungen in unterschiedlicher Weise betroffen sind, bis mir Fakten und Zahlen vorgelegt wurden. Und das hat mich ehrlich gesagt umgehauen.“ Konkret spricht er von weltweit 85 Prozent der Menschen mit geistiger Behinderung, die nicht einmal eine Schule besuchen würden. Drew wolle seine Plattform nutzen, um auf solche Missstände hinzuweisen: „Ich möchte den Menschen solche Zahlen vorhalten und etwas bewirken. Ich will, dass die Menschen gleichgestellt werden.“
Zum Auftakt eine Atmosphäre wie bei WrestleMania
Zur Eröffnungsfeier am Samstag lief McIntyre mit dem Team Großbritannien in das Berliner Olympiastation ein: „Es waren über 100 Länder dabei. Viele kamen in landestypischer Kleidung. Deshalb war ich etwas enttäuscht, dass die Schotten keine Kilts trugen, so wie ich es ihnen vorgeschlagen hatte. Nichtsdestotrotz war die Stimmung unglaublich.“
Und die Menschen im Publikum sorgten für eine Atmosphäre, die Drew an WrestleMania und die leidenschaftlichen WWE-Fans erinnerte. Mit dem Unterschied, dass die Zuschauer hier ausschließlich jubelten: „Es war durchgehend so eine positive Stimmung, wie ich sie noch nie vernommen habe.“
Solche Momente habe er in seinem Job früher selten wirklich aufsaugen können. Die Nervosität und Anspannung habe oft vor großen Shows überwogen: „Ich erinnere mich nicht an diese Momente, weil man einfach einen Job ablieferte, sich durchkämpfte und immer weitermachte. Dagegen bin ich heutzutage so viel entspannter. Ich versuche mich umzuschauen und sauge einzelne Erlebnisse auf. Ich mache mentale Fotos, deshalb habe ich auch meine WWE-Rückkehr noch so klar vor Augen.
Hier habe ich das auch zu den Athleten gesagt: Wenn ihr da draußen seid, atmet durch, schaut euch um, macht diese mentalen Schnappschüsse. Denn schon bald sind das Erinnerungen an die vielleicht besten Tages eures Lebens.“
Marcelino hört seine ersten Worte
Während seiner Zeit in Berlin hat Drew Eindrücke bei den sportlichen Wettbewerben mitgenommen, vor allem war ihm aber die persönliche Begegnung mit den Athleten wichtig. So traf McIntyre, dem das Gesundheitsprogramm
„Healthy Athletes“ besonders am Herzen liegt, ein Mädchen mit Hörproblemen. Ähnliche Einschränkungen beim Hören hatten den Schotten in den vergangenen Jahren selbst zu schaffen gemacht: „Ich weiß, wie sich das anfühlt. Deshalb war es ein großartiger Moment, als sie jetzt ein Hörgerät bekam und plötzlich alles ganz klar verstehen konnte.“
Drew beeinflusste auch einen jungen Mann namens Marcelino. Der Brasilianer hatte bis zu seiner Reise nach Berlin noch nie zuvor im Leben richtig hören können. Erst hatte er sich nicht darauf einlassen wollen, eine Hörhilfe zu tragen. Als er dann aber davon erfuhr, dass auch McIntyre diese Unterstützung für sein Gehör tragen würde, ließ er sich doch darauf ein.
„Ich war dann dort, als ihm das Gerät eingesetzt wurde und er zum ersten Mal etwas hörte. Dann war meine nervige Stimme eine der Ersten, die er vernahm. Das Lächeln auf seinem Gesicht war einfach unbeschreiblich.“
Wegen solcher Momente wolle der WWE-Star den Effekt der Special Olympics weiter in die Welt tragen: „Du machst dir eine Bucket List mit Dingen, die du mal erreichen willst. Aber solche Situationen wie hier, von denen du vorher gar nicht weißt, dass sie passieren, gehen über jede Bucket List hinaus.“
WWE-Zukunft weiter offen
Als WWE auf ihren Social-Media-Kanälen McIntyres Eindrücke aus Berlin teilte, dauerte es nicht lange, bis in den Kommentaren Fragen zu seiner Wrestling-Zukunft aufkamen. Der Hintergrund: Kurz vor WrestleMania waren Spekulationen laut geworden, dass sich die Vertragsverhandlungen zwischen WWE und dem langjährigen Wrestling-Superstar hinziehen würden.
Tatsächlich pausierte McIntyre nach WrestleMania vor allem, um Verletzungen auszukurieren. Aber nicht nur. Zur Vertragssituation sagte er uns: „Ich habe die Sachen online gesehen. Und wahrscheinlich ist dort, wo Rauch ist auch Feuer. Ich kann darauf bezogen keine Klarheit schaffen. Aber ich kann versprechen, dass ihr Drew McIntyre wieder in einem Wrestling-Ring sehen werdet.“
Dass McIntyre von einem „Wrestling-Ring“ statt dem „WWE-Ring“ spricht, lässt Raum für neue Spekulationen. Wie die Aussage zu verstehen ist: Der zweifache WWE-Champion will auch in Zukunft wrestlen. Sollte er sich nicht mit WWE einig werden, dann woanders.
Allerdings soll er Vertrag zwischen McIntyre und WWE noch bis Anfang 2024 laufen - genügend Zeit also, um die gemeinsame Zukunft zu planen.
Der brasilianische Athlet Marcelino (l.) hat dank eines Hörgeräts erstmals in seinem Leben richtig hören können / Foto: (c) WWE
WrestleMania als Karriere-Highlight
Sollte McIntyre tatsächlich sein letztes WWE-Match hinter sich haben, dann ist er zumindest auf einem Höhepunkt abgetreten. Das
WrestleMania-Triple-Threat gegen Gunther und Sheamus bezeichnet er selbst als eines der größten und besten Matches seines Lebens.
„Sheamus und ich haben schon lange darauf gewartet, bei einer WrestleMania ein solches Match zu bekommen. Wir gingen eigentlich bereits letztes Jahr davon aus. Doch nun hat es geklappt. Und das zusätzlich mit Gunther, von dem ich bereits überzeugt war, als ich ihn in den Indys gesehen habe. Er hat sich seitdem in vielerlei Hinsicht noch einmal positiv weiterentwickelt und macht einen fantastischen Job.“
„Das war so ein wilder Ritt. Nicht nur für das Publikum, sondern auch für uns im Ring“, schätzt McIntyre das Match am zweiten WrestleMania-Abend ein. Hinterher, als die Kameras nicht mehr liefen, lag er sich mit Sheamus in den Armen: „Wir teilten diesen Moment, umarmten uns und blickten in die Menge. Das nach 20 Jahren gemeinsam erleben zu können, war schon ziemlich großartig.“
Drew McIntyre hat sein Schwert Angela dabei / Foto: (c) 2022 WWE. All Rights Reserved.
Rückkehr nach Deutschland im Herbst?
Geht es über WrestleMania hinaus mit McIntyre bei WWE weiter, dann stehen die Chancen für eine weitere Deutschland-Reise in diesem Jahr sehr gut.
Schließlich ist erst gerade eine viertägige Tour des Raw-Kaders durch Deutschland angekündigt worden.„WWE verkauft generell immer sehr viele Tickets. Aber dann kommen diese Phasen, wo es richtig heiß läuft und wir fast überall die Hallen ausverkaufen“, erzählt Drew. „So war es jetzt für fast das gesamte letzte Jahr. So viele Charaktere und Storylines sind total angesagt. Die Bloodline-Story ist vorausgeeilt, aber viele sind das Tempo mitgegangen - jetzt ist das Produkt unglaublich und die Zahlen sprechen für sich. Das zeigt auch, wie weit sich WWE und das Wrestling im Generellen entwickelt haben.“
Wer sich für Tickets entscheidet, darf in Deutschland mit einer tollen Show rechnen, meint der Wrestler mit mehr als 20 Jahren Ring-Erfahrung. „Wir wissen, dass das Publikum in Deutschland jedes Mal großartig ist. Und ja, ich hoffe, die Chance zu haben, bei den Shows dabei sein zu können.“
Die Athleten aus aller Welt freuen sich, Drew McIntyre in Berlin zu treffen / Foto: (c) WWE
Frühere Auftritte mit WWE haben schöne Erinnerungen an Deutschland beschert, und auch die Tage bei den Special Olympics in Berlin wird Drew ganz sicher nicht vergessen. In einer Zeit mit ständigen Negativschlagzeilen und schlechter Stimmung in sozialen Medien, habe er von den Athleten vermittelt bekommen, dass das große Ganze zähle, so McIntyre.
„Das passiert auch mir immer mal wieder, dass mich Negativität herunterzieht. Aber von den Menschen hier habe ich gelernt, dass du es schaffen kannst, jeden Tag kleine positive Dinge zu finden. Und selbst wenn du dich schlecht fühlst, hast du immer die Chance, den Tag doch noch gut werden zu lassen.
Die Athleten hier haben mich in vielerlei Hinsicht wirklich beeinflusst. Sie wissen es nicht einmal.“