Doch wie sieht es im virtuellen Seilgeviert aus?
Klar ist: Die Videospielindustrie hat in den letzten Jahren einen bemerkenswerten Aufschwung erlebt und ist zu einem äußerst lukrativen Geschäft geworden. Daten zeigen, dass sie mittlerweile mehr Einnahmen erzielt als die Musik- und Filmindustrie zusammen. Laut einem Bericht von SuperData Research wurde der weltweite Gaming-Sektor im Jahr 2020 auf satte 159,3 Milliarden Dollar geschätzt. Ein Faktor, den kein großes Unternehmen in der Unterhaltungsindustrie ignorieren kann.
Die ersten AEW-Spiele kamen bereits vor drei Jahren auf den Markt, allerdings handelte es sich bei „Casino: Double or Nothing“ und „Elite GM“ um reine Mobile Games. Das neue Konsolen- bzw. PC-Game „AEW Fight Forever“ sollte schon eine ganz andere Hausnummer sein.
Wie bereits erwähnt, waren die Erwartungen vom ersten Moment an sehr hoch, bereits bei der Ankündigung gerieten Fans ins Schwärmen. Eine wichtige Rolle nahm hierbei Kenny Omega ein, der federführend an der Entwicklung beteiligt war. Der „Cleaner“ ist selbst ein riesengroßer Gamer und schien zu wissen, worauf es ankommt.
„Als ich bei AEW unterschrieb, gab mir Tony Khan die Möglichkeit, das beste Gaming-Team zusammenzustellen. Ein Team, das Wrestling versteht und respektiert“, sagte er. Man wollte nicht weniger als die besten Wrestling-Spiele aller Zeiten kreieren.
Dafür sicherte man sich die Dienste von Yuke’s. Das japanische Entwicklerstudio war fast 20 Jahre für die Entstehung von WWE-Spielen verantwortlich, angefangen vom allerersten „SmackDown“ für die Playstation bis zu WWE 2K19. Allerdings sollte sich das AEW-Game bewusst von den letzten WWE-Produkten unterscheiden. Vorbild war nicht die 2K-Reihe, sondern die legendären Spiele von AKI auf den späten Neunzigerjahren.
Was einst im Jahr 1996 mit Virtual Pro-Wrestling in Japan begann (und kurz darauf mit WCW vs. The World in den USA und Europa), erreichte vier Jahre später seinen Höhepunkt mit dem Spiel "WWF No Mercy" für das N64.
Bis heute schwärmen viele Fans vom eingängigen, aber umso unterhaltsameren Gameplay, das in dieser Perfektion nie mehr wiederholt werden konnte. Die Fangemeinde ist nach wie vor durchaus beachtlich. Wer möchte, findet diverse Mods mit neuen Charakteren und Arenen im WWW.
Nicht falsch verstehen: Natürlich gab es auch danach legendäre Wrestling-Games. Deren Fokus und Stärken lagen allerdings in anderen Bereichen.
Mit „AEW Fight Forever“ sollte nun ein spiritueller AKI-Nachfolger etabliert werden, garniert mit einigen Elementen aus den frühen „SmackDown“-Titeln. Omega überredete sogar „No Mercy“-Director Hideyuki „Geta“ Iwashita zu einer Mitarbeit. Da konnte doch nichts mehr schiefgehen, oder?
Aber genug der Theorie!
Nehmen wir den Controller in die Hand und schauen, was „AEW Fight Forever“ nun tatsächlich zu bieten hat.
Eine Frage des Stils
Wer sich immer schon fragte, wie „WCW/nWo Revenge“ oder „No Mercy“ im Jahr 2023 ausgesehen hätten, bekommt zumindest einmal rein optisch hier die Antwort. Man hat sich bei „AEW Fight Forever“ bewusst für eine eher comichafte und teilweise auch ein bisschen überzeichnete Darstellung der Charaktere entschieden. Ohne dabei jedoch komplett ins Lächerliche abzudriften.
Die Modelle reichen von sehr gut bis … nun ja, ziemlich schrecklich. Dabei handelt es sich aber glücklicherweise um Ausnahmen, wie beispielsweise Eddie Kingston. Grundsätzlich ist der Stil stimmig und passt zum Gameplay, sofern man sich darauf einlässt. Die Animation der Moves und die Bewegungsabläufe sind zweifellos gelungen. Matches wirken nicht nur flüssig, sie spielen sich auch so. Aber dazu gleich mehr.
Zuerst noch ein paar Worte zu den Zuschauern in der Halle. Also eigentlich zu denen, die es nicht in die Halle geschafft haben. Warum ist die Kulisse so trostlos? Tatsächlich sind nämlich nur die ersten Reihen besetzt, dahinter herrscht gähnende Leere – und zwar in der gesamten Arena. Böse Zungen mögen Vergleiche mit den letzten Veranstaltungen der Promotion in Kanada ziehen, doch im Jahr 2023 sollte mehr möglich sein. Immerhin machen die anwesenden Fans ordentlich Lärm, für jeden Charakter gibt es eigene Sprechchöre.
Best of 2019 – 2021?
Wie lange sich das Spiel in der Entwicklung befand, zeigt der Blick in den Kader. Bei „AEW Fight Forever“ können wir mit 54 Wrestlerinnen und Wrestlern (plus DLC) in den Ring steigen, wobei fünf davon freigespielt bzw. mit interner Währung freigekauft werden müssen. Das sind zwar deutlich weniger als die 178 Charaktere bei WWE 2K23, für den Anfang ist die Zahl aber ausreichend. Nur: Dieser Kader präsentiert sich quasi wie ein „Best of“ aus den Jahren 2019 – 2021.
Bedeutet: Namen wie Jaymie Hayter oder The Acclaimed sucht man vergeblich, dafür können wir mit mit Abadon und Yuka Sakazaki in den Ring steigen. Nichts gegen diese beiden Ladys, aber hier sollte dringend nachgebessert werden, und zwar schnell. Mit Brody Lee und Owen Hart, der erstmals seit „Showdown: Legends of Wrestling“ im Jahr 2004 wieder in einem Wrestling-Game auftaucht, wartet das Game zudem mit spielbaren Legenden auf. In Bezug auf die AEW-Historie darf auch Cody Rhodes so bezeichnet werden, der ebenfalls noch übrig geblieben ist.
Auch die Arenen spiegeln in erster Linie die Vergangenheit wieder. Zur Auswahl stehen die ursprünglichen Versionen von
Dynamite,
Rampage und Dark sowie die vier Pay-Per-Views Revolution, Double or Nothing, All Out und Full Gear. Das aktuelle Dynamite-Design oder gar Collision? Leider Fehlanzeige. Fyter Fest? Winter is Coming? Battle of the Belts und andere Sonderausgaben? Ebenso. Dasselbe gilt übrigens auch für den International Title und das aktuelle Design der Women’s Championship.
Viele Kampfmöglichkeiten, aber keine Trios- oder Cage-Matches
Einzel, Tag-Team, 3-Way, 4-Way, Leiter, Casino Battle Royale, Falls Count Anywhere, Lights Out und Exploding Barbed Wire – das sind die Match-Optionen im Einzelspiel-Modus. Das kann sich sehen lassen!
Aufmerksame AEW-Fans werden sofort bemerken, dass die bei AEW so gern genutzte Trios-Variante fehlt. Und tatsächlich, derzeit können bei „Fight Forever“ maximal vier Wrestler gleichzeitig im Ring stehen. Dies wirkt sich auf die Spielweise der Casino Battle Royale und eben auch auf die Trios-Matches aus. Also insofern, dass es Letztere derzeit nicht gibt.
Eine Karriere in vier Abschnitten
Mit Spannung erwartet wurde der Karriere-Modus; zumindest vom Autor dieser Zeilen. Bei „Road to Elite“ können wir entweder einen selbst erstellten oder einen bestehenden Wrestler durch ein Jahr bei AEW begleiten. Wobei dieses Jahr recht kurz ist, drei Wochen-TV gefolgt von jeweils einem Pay-Per-View, und das vier Mal.
In jeder Woche können verschiedene Aktivitäten gewählt werden, die in kleinen (nicht interaktiven) Zwischensequenzen münden. Die Cut-Scenes reichen vom routinemäßigen Gewichtheben bis hin zum Mittagessen, Autogrammstunden oder albernen Unterhaltungen mit anderen Wrestlern beim Sightseeing (vor übergroßen Postkartenmotiven).
Zu Beginn jedes Monats wird entschieden, welche Storyline unser Wrestler verfolgt. Einige orientieren sich an wahren Ereignissen aus der frühen Geschichte der Promotion. Pro Pay-Per-View stehen jeweils drei unterschiedliche Storys zur Verfügung, die zufällig erscheinen. Macht insgesamt also zwölf Storys, wobei pro Durchlauf jeweils vier gespielt werden.
Diese Geschichten sind zwar recht nett und durchaus lustig, allerdings stehen sie miteinander in keinerlei Zusammenhang. Da kann es schon mal passieren, dass wir den World Title oder die TNT Championship am Ende eines Großereignisses gewinnen und im darauffolgenden Monat mit keinem Wort darauf eingegangen wird.
Gute Idee, mangelhafte Ausführung. Anders gesagt: eine vergebene Chance. Wenn die Storys schon nicht aufeinander aufbauen, so hätte man zumindest ein paar mehr davon programmieren sollen.
Mini-Games statt CAW-Optionen
Nur kurz soll an dieser Stelle auf die Mini-Games eingegangen werden, die Teil von „Road to Elite“ sind, aber auch im Exhibition Mode gezockt werden können. Beispielsweise ein AEW-Quiz, ein Reaktionsspiel, Rätsel und ähnliche Dinge. Ein netter Zeitvertreib für zwischendurch. Aber nicht wirklich ein Grund, um die Konsole anzuwerfen.
Selbstverständlich kann man in „AEW Fight Forever“ auch eigene Charaktere und Arenen erstellen, wobei die Auswahl im Vergleich zu anderen Spielen wirklich SEHR beschränkt ist. Wer gehofft hat, mit Roman Reigns oder Asuka in den AEW-Ring zu steigen, wird enttäuscht sein. Schade auch, dass man den bestehenden Kader kaum bearbeiten kann.
Das Gameplay ist die größte Stärke
Nun klingt das alles bisher recht ernüchternd, Umfang, Detailgrad und Aktualität lassen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wirklich zu wünschen übrig. Aber: „AEW Fight Forever“ hat noch ein Ass im Ärmel, und zwar ein gewaltiges.
Der Vergleich mit den AKI-Games soll nicht überstrapaziert werden, an dieser Stelle muss er aber trotzdem ein letztes Mal gezogen werden. Yuke’s hat es nämlich geschafft, das Gameplay von „No Mercy“ und Co. in die Gegenwart zu bringen. Im Gegensatz zu so manch anderem Studio, das sich bei ähnlichen Versuchen die Zähne ausgebissen hat.
Bereits nach wenigen Minuten ist die Steuerung in Fleisch und Blut übergegangen. Ein Button für Schläge, ein Button für Tritte, ein Button für Lock-Ups und zwei Buttons für Konter (die wahlweise auch halbiert werden können). Einfach zu erlernen, aber schwierig zu meistern.
Es ist der Moment, in dem „Fight Forever“ (endlich) voll zündet.
Die Matches machen nämlich enorm viel Spaß. Vor allem, wenn man sich für eine Variante mit lascheren Regeln entscheidet.
Insgesamt gibt es über 40 verschiedene Gegenstände, die nach Herzenslust eingesetzt werden können, darunter klassische „Wrestling-Waffen“ wie Tische, Stühle oder mit Stacheldraht umwickelte Baseballschläger, aber auch Football-Helme, Hockey-Schläger, Pizzakartons, explodierende Propangasflaschen, Skateboards oder … a little bit of the bubbly! Eine besondere Erwähnung haben die Reißzwecken verdient, die jeden Bump zu einem Spektakel machen.
Unterschiede zwischen Männern und Frauen werden übrigens nicht gemacht. Wer möchte, kann beispielsweise Adam Cole nach Herzenslust mit Dr. Britt Baker vermöbeln. Oder umgekehrt. Dies gilt für alle Spielmodi, also auch für „Road to Elite“.
Erst nach und nach entfaltet das hervorragende Gameplay sein gesamtes Potenzial. Je öfter man in den Ring steigt (bzw. sich um den Ring prügelt), desto mehr Feinheiten wird man entdecken. Darunter viele Dinge, die wohl jedem AEW-Fan ein freudiges Grinsen ins Gesicht treiben.
Chris Jericho, der im Liontamer „Ask him“ schreit. Orange Cassidy, der die Hände in die Hosentaschen steckt und die Dinge ziemlich locker angeht. Ringrichter Rick Knox, der deutlich mehr zulässt als seine Kollegin Aubrey Edwards … das sind nur drei von ganz vielen Beispielen, die sich hier aufzählen ließen.
AEW Fight Forever - Zukunftsaussichten
Die internationalen Testwertungen sind durchwachsen ausgefallen. Das ist angesichts des Gesamtpakets durchaus verständlich. Wir haben uns bewusst ein wenig mehr Zeit genommen, um das Spiel tatsächlich auf Herz und Nieren zu testen – und vielleicht auch erste Nachbesserungen zu bewerten. Die werden nach und nach kommen, wie Kenny Omega betonte.
Anders als etwa WWE 2K, Madden oder EA FC soll „AEW Fight Forever“ auch keine Spielserie mit jährlichen Releases sein. Vielmehr möchte man das Game durch Erweiterungen und Downloads frisch halten. Wie viele davon kommen, hängt sicherlich zu einem großen Teil von den Verkaufszahlen ab.
Klar ist, dass neue Outfits, Matcharten, Arenen und Charaktere dem Spiel nur guttun können. Vor allem im Bereich des Women’s Rosters muss dringend nachgerüstet werden. Wünschenswert wäre auch ein großes Update mit zusätzlichen Storys für „Road to Elite“ oder gar ein „Universe“- oder „GM-Mode“. Vorstellbar auch ein Forbidden-Door-Pack mit entsprechenden Inhalten. Aber das ist alles noch Zukunftsmusik. Vorerst steht mit „Stadium Stampede“ der erste Zusatzmodus in den Startlöchern.
Fazit: Lohnt sich „AEW Fight Forever“?
Das kommt ganz darauf an, was man erwartet. Das Spiel wird derzeit für 59,99 Euro angeboten. Vom Umfang her und in Anbetracht der grafischen Präsentation wären 39,99 Euro als Einstiegspunkt vielleicht sinnvoller gewesen, zumal bereits am Tag der Veröffentlichung kostenpflichtige Downloads angeboten wurden. Wer FTR haben möchte, muss noch einmal in die Tasche greifen. Dasselbe gilt für Matt Hardy, sofern man keine digitale Version vorbestellt hatte.
Alle drei Wrestler hätten Teil des bestehenden Kaders sein MÜSSEN, zumal Jeff Hardy bereits vorhanden ist. Kostenpflichtige Downloads sind inzwischen Part of the Game und sicherlich in Ordnung, sofern es sich um echte Erweiterungen oder Aktualisierungen handelt. Aber das ist in diesem Fall eben nicht so. Demnächst werden noch HOOK, Danhausen, The Bunny und Keith Lee folgen.
Auf der anderen Seite macht das Game aber wirklich Spaß. Vor allem im Offline-Multiplayer-Bereich, dem sogenannten Couch-Koop. Das flotte Gameplay dürfte nicht nur Gamer ansprechen, die bereits in den Neunzigerjahren auf den N64 gecatcht haben, sondern alle Wrestling-Zocker. Mit kleinen Adaptionen (bitte Slider nachrüsten!) ist hier sogar noch mehr möglich.
Trotz der Kritikpunkte handelt es sich bei „AEW Fight Forever“ im Großen und Ganzen um ein durchaus gelungenes Debüt, dem jedoch mehr Fleisch auf den Rippen gutgetan hätte. Vor allem in Hinblick auf die Langzeitmotivation. Hoffentlich lässt man den Worten auch Taten folgen und kredenzt uns in naher Zukunft umfassende Erweiterungen. Dann könnten wir hier den Beginn einer neuen Ära im Bereich Wrestling-Games erleben.
Der Grundstein wurde gelegt. Jetzt gilt es, darauf aufzubauen.
„AEW Fight Forever“ ist für die PS4, PS5, Xbox One, Xbox Series X, Xbox Series S, PC und Nintendo Switch erhältlich. Getestet wurde die PS5-Version.
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